„Der Mann, der den Nürnberger Trichter erfand, hat sicher der Menschheit Bedürfnis erkannt“. Beim Nürnberger Trichter geht es darum, sich Fachwissen und vielerlei Weisheiten fürs Leben anzueignen. Natürlich ohne viel Zeit und Mühe zu investieren. Alles soll durch einen Trichter in den Kopf fließen. Zum Nürnberger Trichter gibt es viele Geschichten und Legenden. Aber diese interessieren uns nur beiläufig. Wichtig ist das Prinzip. Rein in den Kopf. Sofort.
Künstliche Intelligenz ist ein Begriff, der häufig mit dem Thema Neuroimplantation in Verbindung gebracht wird. Stimmt es so? Werden Mensch und Maschine irgendwann miteinander verschmelzen? Der Einsatz von Neuroimplantaten ist ein vielversprechender Ansatz zur Behandlung neuronaler Krankheiten oder anderer Beeinträchtigungen des Nervensystems. Dabei sind Biokompatibilität sowie gute elektrische Kopplung zwischen Elektroden und neuronalem Gewebe wichtige Voraussetzungen für die Effizienz dieser Implantate.
Seit den 1980er Jahren werden Cholea- Implantate verwendet, die den Hörnerv Tauber oder schwer Hörgeschädigter stimulieren und somit Informationen übermitteln. Hierbei nimmt ein Prozessor mittels Mikrofon Schallsignale auf und sendet sie an den Hörnerv. Solche Implantate sitzen aber lediglich an den „Außenstellen“ des Gehirns. Doch auch hier wird seit einigen Jahren mit der Gegenübertragung experimentiert. Elektrische Signale aus dem Gehirn sollen an eine Maschine gehen.
BrainGate heißt hier der Vorreiter. John Donoghue, Forscher und Professor der Brown University, erprobt ein sogenanntes „Multi-Elektroden-Array“. Das sind kleinste Geräte, die mehrere Plättchen oder Nadeln beinhalten, durch die Hirnsignale aufgenommen oder abgegeben werden können. Sie dienen somit als neuronalen Schnittstellen, die die Nervenzellen mit elektronischen Schaltungen verbinden können. Schon ein guter Anfang um etwas in das Gehirn einzuschleusen.
Von Depressionen bis zu Bewegegungsstörungen
Ein Elektroenzephalogramm (EEG) zeigt ein vollständiges Abbild der neuronalen Aktivitäten. Dieses wird von der Kopfhaut abgegriffen.. Dem Patienten wird eine spezielle Kappe aufgesetzt, die einer Badekappe ähnelt. Jedoch mit einem gravierenden Unterschied: Die Kappe, die das EEG aufnimmt, enthält eine Vielzahl von Elektroden. Sie können gelähmten oder nicht sprechfähigen Patienten helfen, einen Cursor auf einem Bildschirm zu steuern und somit durch Gedankenkraft Worte und Sätze zu bilden. Führender Wissenschaftler auf diesem Gebiet ist Niels Birbaumer, Neuropsychologe an der Universität Tübingen.
In Duluth, Georgia, entwarf Philip R. Kennedy zusammen mit Forschungskollegen eine kegelförmige Elektrode. Nervenzellen können in diese Form einwachsen. Die in der sprachmotorischen Hirnrinde erfassten Signale sollen die Stellung von Lippen, Zunge und Kiefer bei der Erzeugung von Lauten steuern. 2004 wurde einem fast völlig gelähmten Schlaganfallopfer ein solches Implantat eingesetzt. Es gelang dem Patienten zumindest Vokale zu formulieren. Ein wichtiger Schritt zu ganzen Worten.
Zudem könnte sich durch die Anwendung der Hirnschrittmacher die Stimmung schwer Depressiver aufhellen oder auch für Parkinsonpatienten eine Linderung der Bewegungsstörungen bedeuten. Nanoborsten, wie sie der Forscher Jun Li von der Kansas University mit seinen Kollegen konzipiert hat, könnten zukünftig dazu dienen, die Muskulatur von Astronauten zu trainieren, damit der Muskelschwund während des Weltraumaufenthalts weniger gravierend ausfällt.
Zwischen organischer und mechanischer Welt
Zunächst muss definiert werden, wie aus Licht-, Schall-, Geruchs oder Berührungsreizen langlebige Erinnerungen in unserem Gehirn entstehen. Mit diesem Wissen könnten Neuroprothesen konstruiert werden, um z.B. Alzheimerpatienten neue Gedächtnisinhalte aufzubauen. Bevor dies aber geschehen kann, müssen verlässliche Schnittstellen zwischen der organischen und mechanischen Welt existieren.
Die größten Probleme liegen im Aufbau des Langzeitgedächtnisses, um Informationen dauerhaft in der Hirnstruktur zu verankern:
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zuverlässige und möglichst risikoarme Schnittstellen, die die elektrischen Signale von einer Welt in die andere befördern
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eine Übersetzung der Information in die Sprache der Neurone, damit das Gehirn das Gewünschte Wissen erhält
Material schon in greifbarer Nähe
Ein lesendes Neurointerface würde die natürliche elektrische Aktivität unseres Nervensystems registrieren und ein schreibendes würde darin Nervenimpulse erzeugen. Ein Neurointerface ist ein trainierter Filter basierend auf einem neuronalen Netz, der als Kopplung zwischen Mensch und einem mechanischen System dient, das kontrolliert oder gelenkt werden soll. Der Zweck dieser Verbindung soll es dem Menschen ermöglichen z.B. bei physischer Beeinträchtigung Maschinen zu steuern – sei es nur der Cursor am Bildschirm.
Als Elektrodenmaterial verwendet die Industrie typischerweise edle Metalle wie Gold oder Titan. Aber auch Beschichtungen aus Titannitrid finden gern ihren Weg in die Technik. Eine ganz neue Entwicklung ist der Einsatz von Nanomaterialien wie Nanotube, das sind Kohlenstoffröhrchen mit einem Durchmesser von weniger als 100 Nanometern. Durch ihre kleine Größe und ihren mechanischen und elektrischen Eigenschaften zeichnet sie eine sehr hohe Biokompatibilität aus. Elektroden, die mit diesem Nanomaterial versehen sind, können durch eine gute Kopplung zwischen biologischem Gewebe und Elektrode die die Effizienz von Neuro-Implantaten verbessern.
Sinnesinformationen im Microchip
An der University of Southern California arbeiten Teams mit Theodore W. Berger an einer elektronischen Version des Hippocampus. Dieser ist zuständig für die Erzeugung und Archivierung von Inhalten des Langzeitgedächtnisses. Er ist einer der wenigen Orte im Gehirn, an dem neue Nervenzellen geboren werden. Es gibt einen in jeder Hirnhälfte. Fehlen beide Hippocampi, hat der Mensch keine Möglichkeit neue Erinnerungen aufzubauen. Das motorische Gedächtnis ist nicht betroffen, Finger- und Bewegungsfertigkeiten sind somit nicht beeinträchtigt.
Prothesen am Hippocampus würden hier Demenzerkrankte oder durch Schlaganfall geschädigte Patienten bei der Bildung neuer Gedächtnisinhalte zu unterstützen. An einer Ratte ist das Experiment bereits geglückt. Das Tier lernte durch Drücken eines Hebels, Wasser zu erhalten. Hier hätte der Hippocampus gegriffen. Dieser wurde aber chemisch stillgelegt. Drückte das Tier nun den Hebel wurden die erzeugten Signale, Sinnesinformationen, in den Microchip gespeist. Dieser generierte genau die Signale, die auch der Hippocampus erzeugt hätte, so die Wissenschaftler.
Probleme fallen aber auch hier an. Es wurde getestet wie Sinnesreize von außen nach innen gelangen und wo genau sie im Gehirn ankommen. Die nächste Frage ist: Wie bringe ich die Ratte dazu auf den Gedanken zu kommen den Hebel zu betätigen, weil dann Wasser fließt? Ein Nürnberger Trichter eben.
Verschmelzung von Mensch und Technik bereits vorhanden
„Zunächst einmal ist die Verschmelzung von Mensch und Technik eine Entwicklung, die bereits stattgefunden hat“, erklärt Stefan Lorenz Sorgner, Philospoh und Direktor des Beyond Humanism Network, der Süddeutschen Zeitung. So sind Menschen schon mit Herzschrittmachern ausgestattet. Hirnimplantate wären aber insoweit etwas anderes, da Erinnerungen und das Wissen das (und wie wir uns dieses Wissen aneignen) unsere Persönlichkeit widerspiegeln. Eine Identität, die laut S. L. Sorgner nur mit der Förderung menschlicher Eigenschaften und einem daraus resultierenden besseren Leben einherginge. Mithilfe Biotechnologien versteht sich. Doch wird es eine Chancengleichheit geben, sobald der Mensch genetisch aufgebessert oder degradiert wird? Legitimiert man durch die Aussicht, schlechte Gene auszusortieren, eine neue Eugenik? „Eugenik, wie im ‚Dritten Reich‘ stattgefunden hat, wollen wir natürlich auf keinen Fall“, verspricht Sorgner. Immerhin solle jeder für sich selbst für oder gegen eine „Modifikation“ entscheiden. „Umso stärker müssen wir darauf achten, dass diese wunderbare Errungenschaft unserer Freiheit nicht durch neue totalitäre Bevormundungs- und Überwachungsmechanismen verloren geht, sei es von politischer wie industrieller Seite“.
Digitale Körper
Die Fortschritte der Hirnforschung beruhen vor allem auf dem Einsatz neuer Techniken. Mithilfe der Magnetoenzephalographie können ganze Areale der geistig-seelischen Funktionen mit verblüffender Präzision der Hirnrinde zugeordnet werden und das, ohne damit ältere Netzwerk-Hypothesen zu entkräften. Diese führen das Aufkommen des Bewusstseins auf die Kommunikation zwischen Milliarden von Neuronen zurück. Wir können die Identität der Beziehung zwischen Körper und Seele nicht in den Blickwinkel unserer bewussten Wahrnehmung bringen. Wenn es aber möglich ist, einen Computer über gedachte Befehle zu steuern, wenn durch mentale Anstrengung ein Cursor auf einem Bildschirm oder gar eine Prothese gelenkt werden kann, wie sollte dann die Meinung noch gelten, unser Geist sei etwas Immaterielles, das nicht unter die Gesetze der Naturwissenschaften fällt?
Aus diesem Grund sollte es möglich sein, Neuroimplantate herzustellen und erfolgreich nutzen zu können. In der Idee steckt Potential und Risiko, wie in jeder technischen Errungenschaft des Menschen. Vielleicht entwickelt sich alles zum Guten und es kommen schon die nächsten Generationen von Schülern in den Genuss des „Nürnberger Trichters“.
von Beate Zimmermann