Die europäische Flüchtlingskrise spielt Vladimir Putin und seiner Nahostpolitik in die Hände. Die Rolle Angela Merkels und Sigmar Gabriels dabei sind zweifelhaft und inkonsequent.
Ein Gast-Beitrag von Oliver Weber
Es fällt schwer einer Kanzlerin, die vor 18 Monaten mit Nachdruck für die Sanktionierung Russlands eintrat, nun den Vorwurf zu machen, sie verhalte sich dem russische Präsidenten zu nachgiebig gegenüber. Und doch ist der Vorwurf richtig, sollte sich der eingeschlagene Kurs der Bundesregierung in der Syrienfrage nicht normalisieren. Was ist also zwischen dem 6. März 2014 – dem Inkrafttreten der ersten Russland-Sanktionen – und dem 24. September 2015 passiert, also dem Tag an dem Angela Merkel betonte, man müsse ganz speziell auch mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad reden, um den tobenden Bürgerkrieg zu beenden?
Die Antwort ist so einfach wie weitreichend: 800.000 bis 1,5 Millionen Flüchtlinge werden Deutschland in diesem Jahr erreichen. Das steht in jeder Schlagzeile, darüber debattieren die Talkmaster von Plasberg bis Maischberger und auch der durchschnittsdeutsche Stamm- und Familienesstisch kennt wohl kein anderes Thema mehr. Daran kommt auch Angela Merkel nicht vorbei.
Eine neue Syrien-Strategie
Deswegen steht auch die Fluchtursachenbekämpfung wieder ganz oben auf der Agenda der Bundesregierung. Und die oberste Fluchtursache ist eben Syrien. Grund genug sich erneut damit zu beschäftigen. Der Westen tut das intensiver als er es in den letzten beiden Jahren getan hat:
Die Obama-Regierung erarbeitet eine neue Syrien-Strategie, Großbritannien und Frankreich schlagen Luftschläge auf syrischem Boden vor und Angela Merkel, die möchte ausdrücklich auch mit Assad reden. Nicht anders ist ihr Statement nach dem vergangenen Flüchtlingsgipfel der Europäischen Union zu verstehen, als sie sagte: „Es muss mit vielen Akteuren gesprochen werden, dazu gehört auch Assad“. Dass man eine Befriedung Syriens ohne den Diktator nicht erreichen kann, ist logisch. Die Selbstverständlichkeit, sich ganz ohne Bedingungen mit einem Menschenrechtsverbrecher und Dialogsverweigerer an einen Tisch zu setzen, weniger.
Dass dies ein bemerkenswertes Ausscheren aus der Syrien-Linie des Westens bedeutet, macht vor allem der russische Regierungssprecher klar, als er in dieser Woche erfreut konstatierte: „Merkels Haltung entspricht der Position Moskaus“.
Darum griff Moskau ein
Ein entscheidender Faktor, der bei einer möglichen neuen West-Strategie in Syrien neuerdings mit einbezogen werden muss, ist, dass Russland sich dort nun offensiv-militärisch für das Regime engagiert. Putin hat dafür mehrere Beweggründe.
Erstens bedeutet der „Islamische Staat“ (IS) eine nicht unbedeutende Sicherheitsbedrohung für das russische Staatsgebiet. Es gibt massenweise Berichte über tschetschenische IS-Rekruten in Syrien und dem Irak, die eines Tages zurückkehren könnten. Die islamisch geprägten Länder Zentralasiens in der Nachbarschaft zu Afghanistan wie beispielsweise Kirgistan gelten als anfällig für den Islamischen Staat und machen Russland schon lange Sorgen. Nach Angaben der International Crisis Group kämpfen bereits bis zu 4000 Islamisten aus den ehemaligen mittelasiatischen Sowjetrepubliken an der Seite des IS. Die Bedrohung durch den IS ist daher sicherlich eine nennenswerte Ursache des neuen Syrien-Engagement Russlands.
Zweitens ist Baschar al-Assad einer der letzten Verbündeten Russlands in der Region. Nach dem Sturz Gaddaffis in Libyen durch bewaffnete Oppositionelle und einer westlich geführten Luftkoalition verbleiben der Putin-Administration nur wenige außenpolitische Anker im Nahen Osten. Der Iran ist einer davon.
Im Video: Waffenlieferungen oder nicht – Wie soll es mit der Ukraine weitergehen?
Putins Strategie
Drittens ist eine mögliche Zusammenarbeit zwischen dem Westen und Russland in der Syrienfrage die Möglichkeit für Putin aus der internationalen Isolation zurückzukehren, die im Zuge der Krim-Annexion entstanden ist. Denn die bis jetzt aktiven Wirtschaftssanktionen fügen der russischen Wirtschaft nicht unerheblichen Schaden zu. Zudem gestaltet sich der von Russland am Leben erhaltene Ukraine-Krieg teurer als gedacht. Beides mit Imagewahrung zu beenden, könnte Putin mittels seiner konstruktiven Syrienpolitik gelingen.
Viertens sind der Syrien-Konflikt und der Vorschmarsch des IS zwei gern genutzte Propagandafelder der Putin-geführten russischen Autokratie. Denn dem Westen gelang es bisher weder Syrien zu befrieden (nicht zuletzt aufgrund der Blockadehaltung Moskaus im UN-Sicherheitsrat) noch wirklich Land vom IS zurückzuerobern. In beiden Konflikten beschränken sich militärisch-zivile Operationen des Westens auf Eindämmung statt auf echte Bekämpfung. Umso besser passt eine russisch geführte bzw. initiierte Anti-IS-Koalition in Putins neuem (auf bewusst antiwestlichen Ressentiments basierendem) Nationalismus.
Mit Putin gibt es kein freies Syrien
Es ist wichtig für westliche Außenpolitiker zu wissen, welcher Beweggrund Russlands überwiegt. Denn je nach Konstruktivität des russischen Hauptziels, kann die westliche Staatengemeinschaft kooperieren. Doch dass Putin dem Nationalismus abschwört, Minsk II umsetzt und partnerschaftlich mit den USA den IS bekämpft, um anschließend friedlich für ein demokratisches Syrien einzustehen, darf bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist eine Mixtur aus kooperativen und bewusst antiwestlichen Beweggründen. Eine Politik die Ersteres annimmt, könnte also direkt in eine außenpolitische Falle laufen mit gravierenden Folgen. Das ist wohl der Grund warum die USA abwarten um herauszufinden, was Putin tatsächlich antreibt. Und auch die zwar bewusst einladende aber zurückhaltende Position Frankreichs und Großbritanniens fußt wohl auf derartigen Überlegungen.
Geradezu unüberlegt wirkt dem gegenüber die Haltung der deutschen Bundesregierung. Der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier machte bereits vor Wochen Andeutungen in Richtung Moskau und Assad, dass eine gemeinsame Lösung nicht nur möglich, sondern auch geradezu bedingungslos erwünscht sei. Angela Merkel legte diese Woche nach und bekräftigte ohne Einschränkung, dass man mit Assad reden müsse. Und nun überholt der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel seine Kabinettskollegen auf der Schnellstraße der Eingeständnisse und schlägt die Aufhebung der Russland-Sanktionen vor.
Ukraine oder Syrien – Ein zynischer Handel
Wörtlich hieß es: „Wir werden unser Verhältnis zu Russland ändern müssen. Jeder wird so klug sein zu wissen, dass man nicht auf der einen Seite Sanktionen dauerhaft aufrechterhalten und auf der anderen Seite darum bitten kann, zusammenzuarbeiten. Ein anderes und besseres Verhältnis fängt bei einer zweiten Gaspipeline an und endet bei der Aufhebung der Sanktionen gegen Russland.“ Es wirkt fast schon wie ein zynischer Kuhhandel, was der SPD-Chef da vorschlägt; die Ukraine gegen Syrien. Denn trotz einer absoluten Nichterfüllung des Friedensabkommens für die Ukraine (Minsk II) seitens der russischen Regierung, soll die Bestrafung hierfür, aufgehoben werden um im Gegenzug mehr Kooperation in Sachen Syrien zu erbitten.
Wohl überlegt klingt das nicht. Eher wie Duckmäusertum und Nachgiebigkeit. Sollte dies in seiner Gesamtheit die offizielle Positionierung der Bundesregierung sein, so ist weder eine Besserung in der Ukraine, noch langfristig im Ost-West Verhältnis zu erwarten, da dies ein Einknicken vor dem russischen Imperialismus bedeutet und damit dem russischen Nationalismus neues Brennholz bereitet. Um sowohl in der Ukraine, als auch in Syrien konstruktiv zu wirken, muss die deutsche Außenpolitik skeptischer gegenüber russischen Vorstößen in Syrien auftreten. Denn derzeit steht nichts fest, außer dass nichts fest steht. Kluges Abwarten (war dies nicht immer der eigentliche Politstil der Kanzlerin?) und starkes beharren auf Besserungen in der Ukraine sind gefordert, um nicht geradewegs in eine russische Syrien-Falle zu laufen. Tappt man hingegen direkt hinein, erwartet nicht nur die Syrer weitere Jahre unter der Schreckensherrschaft Assads, sondern auch die Ukraine einen langen Konflikt mit Russland. Dies gilt es zu verhindern.
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