In einem Artikel von 2005 schrieb Yassin Musharbash einen Artikel über den Master-Plan Al-Quaidas, in dem er sich auf das Buch des jordanischen Journalisten Fouad Hussein berief. Der Artikel erschien am 12. August, also vor neun Jahren, bei Spiegel Online.
In Husseins Buch geht es primär um den Plan von Al-Quaida, ein islamisches Kalifat zu gründen und das in sieben einfachen Schritten. Vergleicht man diese mit der aktuellen Situation rund um den Konflikt mit dem „Islamischen Staat“ (IS), sieht der Sieben-Schritte-Plan wie eine Blaupause aus.
Anm. der Redaktion: Ein Kalifat ist die Institution des weltlich-religiösen Herrschers in der muslimischen Welt.
Im Vorfeld ist es wichtig zu wissen, dass der „Islamische Staat“ ursprünglich als Al-Quaida Ableger im Irak, unter dem Namen „Islamischer Staat im Irak“ gegründet wurde. Genauso verhielt es sich mit der „Al-Nusra Front“, die im IS aufgegangen ist. Nun wurde viel spekuliert, Al-Quaida erklärte den „Islamischen Staat“ für zu brutal und dennoch sympathisieren viele Zellen mit den Radikalen.
Der Sieben-Schritte-Plan
Die erste Phase, „das Aufwachen“ genannt, ist demnach bereits abgeschlossen; sie soll von 2000 bis 2003 gedauert haben, genauer gesagt von den Vorbereitungen der Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington bis zum Fall Bagdads 2003. Das Ziel der Anschläge soll es gewesen sein, die USA zu Kriegen in der islamischen Welt zu provozieren, um die Muslime „aufzuwecken“. „Das Resultat der ersten Phase war – nach Empfinden der Vordenker und Strategen der al-Qaida – sehr gut“, schreibt Hussein. „Das Schlachtfeld wurde ausgeweitet, die Amerikaner und ihre Verbündeten wurden zu einem einfacher zu treffenden und näherem Ziel.“ Dem Netzwerk sei es außerdem gelungen, seine Botschaften „an jedem Ort“ hörbar zu machen.
Die zweite Phase, „das Augenöffnen“, läuft nach Husseins Einordnung im Moment ab; sie soll bis 2006 beendet sein. In dieser Zeit, so hoffen es laut Hussein die Terror-Strategen, werde die „islamische Gemeinschaft“ sich der westlichen Verschwörung bewusst. Al-Qaida wolle sich in dieser Phase von einer Organisation zu einer Bewegung entwickeln, fasst Hussein zusammen. Das Netzwerk rechne damit, dass sich ihm viele junge Männer in diesem Jahren anschließen. Der Irak soll zudem zur Operationsbasis von globaler Bedeutung ausgebaut, eine „Armee“ eben dort aufgestellt und außerdem Basen in anderen arabischen Staaten errichtet werden.
Hier in Phase zwei heißt es, der Irak soll zur Operationsbasis werden. Anfang 2004 gründete az-Zarqawi einen Ableger der Al-Quaida im Irak. In einem Brief vom neunten Juli 2005 schrieb Aiman az-Zawahiri (nach dem Tod von Osama bin Laden zum Führer der Al-Quaida aufgestiegen) an az-Zarqawi, wie wichtig der Irak-Krieg für den weltweiten Dschihad sei. Weiter erklärte er die Notwendigkeit der Unterstützung durch die Volksmassen und ließ verlauten, dass mehr als die Hälfte des Konflikts zukünftig in den Medien ausgetragen werde.
Die dritte Phase wird mit „Das Aufstehen und Auf-zwei-Beine-Stellen“ umschrieben. Sie soll den Zeitraum von 2007 bis 2010 umfassen. „Es wird eine Konzentration auf Syrien geben“, prophezeit Hussein auf der Grundlage seiner Rückmeldungen. Die kämpfenden Kader stünden bereit, zum Teil hielten sie sich im Irak auf. Auch Anschläge in der Türkei und – noch brisanter – gegen Israel würden für diese Jahre avisiert. Angriffe auf Israel, so hoffen die Vordenker des Terrors demnach, werden aus al-Qaida eine allseits anerkannte Organisation machen. Möglich sei außerdem eine Ausweitung der Anschläge in den Nachbarländern des Irak, also etwa in Jordanien.
In der vierten Phase, zwischen 2010 und 2013, wird es al-Qaida Hussein zufolge darum gehen, den Sturz der verhassten arabischen Regierungen zu erreichen. „Der schleichende Machtverlust der Regime wird zu einem stetigen Zuwachs an Kraft bei al-Qaida führen“ – so lautet das Kalkül. Parallel sollen Angriffe gegen Ölförderanlagen durchgeführt, die US-Wirtschaft durch Cyberterrorismus ins Visier genommen werden.
Phase vier ist wieder sehr brisant, besonders im Kontext mit dem Arabischen Frühling. „Man will die verhassten arabischen Regierungen stürzen“. Gaddafi, Assad, Mubarak und die weiteren bisher gefallen Diktatoren waren alle Gegner von Al-Quaida und haben teilweise eng mit den westlichen Geheimdiensten kooperiert. Enger, viel enger als es beispielsweise die pakistanische Regierung tut. Besonders im historischen Kontext ist die Zeitspanne „zwischen 2010 und 2013“ sehr interessant. Wenn man heute von dem Arabischen Frühling spricht, meint man eine im Dezember 2010 beginnende Serie von Protesten. Beginn: Dezember 2010.
So soll es in der fünften Phase, zwischen 2013 und 2016, gelingen, einen islamischen Staat auszurufen – und zwar ein Kalifat. Der Einfluss des Westens in der islamischen Welt werde dann bereits massiv zurückgegangen sein, sagen die Qaida-Ideologen voraus, auch Israel werde derart geschwächt sein, dass Gegenwehr nicht gefürchtet werden müsse. Der islamische Staat werde eine neue Weltordnung hervorbringen, rechnen sich die Qaida-Planer aus.
Im Juni 2014 rief der Anführer des IS Al-Baghdadi ein islamisches Kalifat aus. Israel ist wahrscheinlich nicht so geschwächt, jedoch ausgelaugt. Nach dem vor kurzem beendeten Gaza-Krieg und der stetigen Bedrohung durch die libanesische Hisbollah, ist Israel nicht in der Lage, außerhalb des eigenen Landes Krieg zu führen. Auch scheint es eingetroffen zu sein, dass der Einfluss des Westens zurückgegangen ist. Dass die USA und ihre westlichen Verbündeten nicht an vorderster Front mit Bodentruppen eingreifen wollen, ist verständlich. Zu tief sitzen die Erlebnisse aus dem Irak-Krieg, zu unterschiedlich sind die kulturellen Gepflogenheiten. Doch auch die muslimischen Verbündeten und Länder sehen derzeit anscheinend keinen großen Anlass, auf die USA zu hören und den IS mit Bodentruppen zu stoppen. Ob es Kalkül ist, Verrat oder Angst vor Rache der Mudschaheddin, ist fraglich.
Die sechste Phase, beginnend 2016, sieht die „totale Konfrontation“ vor, schließt Hussein aus dem, was ihm zugetragen wurde. Unmittelbar nach Ausrufung des Kalifats werde die „islamische Armee“ die von Osama Bin Laden oft vorhergesagte „Schlacht zwischen Glauben und Unglauben“ anzetteln.
Schließlich soll die siebte Phase folgen, die mit „endgültiger Sieg“ beschrieben wird. Die Qaida-Strategen gehen, so Hussein, davon aus, dass das Kalifat Bestand haben wird – weil die restliche Welt angesichts der Kampfbereitschaft von „anderthalb Milliarden Muslimen“ klein beigeben werde. Im Jahr 2020 soll auch diese Phase abgeschlossen sein, wobei der Krieg nicht länger als zwei Jahre dauern soll.
Vor neun Jahren hätten viele diesen Plan verlacht und ihn als Hirngespinst eines nach Aufmerksamkeit haschenden Journalisten abgetan. Doch scheint er eine Art Blaupause für den Vormarsch des IS gewesen zu sein. Bedenkt man, dass der IS aus einer Quaida Zelle entstanden ist und Hussein in dem Master-Plan von einer „islamischen Armee“ von Al-Quaida spricht, stellt sich die Frage, ob Al-Quaida und der „Islamische Staat“ vielleicht mehr sind, als zwei unabhängig agierende Terrornetzwerke. Auch der Fakt, dass es seit einiger Zeit relativ ruhig um Al-Quaida geworden ist und Geheimdienste immer wieder ehemalige hochrangige Quaida-Männer im Dienste des IS sehen, bestärkt diese Frage.
Die BILD hat zu diesem Thema mit Terrorismus-Experte Prof. Peter Neumann vom Kings College, London, gesprochen. Dieser sagt dazu: „Es darf nicht vergessen werde, dass ISIS und al-Qaida zwar sehr ähnliche Ziele verfolgen, aber dennoch in Konkurrenz zueinander stehen.“
In einem Artikel der Washington Post dagegen heißt es, dass sich immer mehr und immer schneller Al-Quaida Netzwerke und Kämpfer dem „Islamischen Staat“ anschließen.
Dir hat der Artikel gefallen, dann zeig es deinen Freunden:
Bild oben und Titelbild: https://www.flickr.com/photos/hinkelstone/15240088197 / flickr
Bild mittig: https://www.flickr.com/photos/63498656@N04/5840637540 / flickr
Mehr zum Islamischen Staat
IS: Zu radikal für Al-Quaida
IS: UN fürchtet Massaker in Kobane
Die internationale Allianz gegen den Terror
Droht Israel ein Krieg mit der Hisbollah
