Die Debatte über einen möglichen Euro-Austritt Griechenlands kommt zurück. Doch die Gefahr liegt abseits der Ökonomie: Der Zusammenhalt Europas steht auf dem Spiel.
Ein Gast-Beitrag von Oliver Weber
Es steht seit dem Ausbruch der Euro-Krise ständig im Raum: Das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungsgebiet. In ganz Deutschland wird dieser bedeutende Schritt heftig diskutiert – so heftig, dass selbst die Bundeskanzlerin einen Grexit nicht mehr kategorisch ausschließt. Quer durch alle Parteien stehen hierbei ökonomische und damit verbundene soziale Überlegungen im Zentrum der Debatte. Doch die größten Gefahren liegen längst auf einem ganz anderen Gebiet: Die Sicherheits- und Friedensordnung Europas steht auf dem Spiel.
Die Ansicht der Ökonomen
Was haben die Hauptbefürworter eines Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone wie Hans Werner Sinn, Bernd Lucke oder Jürgen Stark gemeinsam? Richtig, sie sind alle Ökonomen. Das heißt im Zentrum ihrer Überlegungen stehen die wirtschaftlichen Folgen für das nahezu bankrotte Land, die als Folge eines Grexit eintreten könnten. Daran ist sicherlich noch nichts Verwerfliches anzumerken, doch es ist eben nur ein Teil der Wahrheit.
Denn ob die ökonomischen Risiken für Griechenland als Folge eines Euro-Ausstiegs so dramatisch sind wie oftmals behauptet, lässt sich nur schwer feststellen. Doch so oder so, tritt der Aspekt, ob ein Austritt aus der gemeinsamen Währung mittlerweile wirtschaftlich denkbar wäre, eher in den Hintergrund.
Im Fokus der gesellschaftlichen Debatte und auch der Entscheidung der Bundesregierung im Umgang mit der neuen Verhandlungslinie der Syriza-Regierung in Athen sollten die außenpolitischen Folgen eines Grexit stehen. Denn dieser Schritt wäre mittlerweile hauptsächlich eine geopolitische Katastrophe und damit auch ein unkalkulierbares sicherheitspolitisches Risiko für die gemeinsame Friedensordnung Europas.
Die schwerste Krise Europas
Wir sprechen hier von einer Ordnung, die sowieso in ihrer schwersten Krise seit dem Ende des Kalten Krieges steckt. Wirtschaftlich angeschlagen, politisch zerstritten und gesellschaftlich in Frage gestellt muss sich das Projekt Europa in Form der Europäischen Union nun ihrem Zerfall widersetzen. Das Fundament der europäischen Zusammenarbeit und gemeinsamen Sicherheitspolitik steht damit auf dem Spiel.
Doch gerade im Zeitalter der Globalisierung, wo der Nationalstaat immer häufiger zurücktreten muss um nationalem Vorgehen Platz zu machen, ist diese Entwicklung brandgefährlich. Der formale Zerfall Europas (Brexit, Grexit) sowie der Zerfall der hart erkämpften gemeinsamen europäischen Politik, würde in Folge dessen auch den wirtschaftlichen und politischen Einfluss der so zahlreichen europäischen Vaterländer zerstören. Europa wäre damit Geschichte.
Syriza und die Entsolidarisierung Europas
Mitten in diesen desaströsen Zustand platzt nun eine frisch gewählte griechische Regierung, die am linken Rand des politischen Spektrums steht, und das erneute Aufblühen der griechisch-russischen Beziehungen feiert. Zwar bemüht sich der griechische Premierminister Alexis Tsipras bei seiner Russlandreise im April dieses Jahres die rote Linie nicht zu überschreiten, und doch wirkt es wie eine Untergrabung der bis dahin erstaunlich einig getragenen europäischen Außenpolitik in Bezug auf die Ukraine-Krise.
Schon den Anschein zu erwecken, man könnte die Konditionen der Institutionen (EZB, IWF, und EU-Kommission) umgehen, indem man stattdessen auf Hilfsgelder aus dem russischen Staatshaushalt hofft, ist ein fast einmaliger Akt der Entsolidarisierung mit Europa.
Zwar mag der Schritt verständlich sein, bei den harten Vorgaben der EU, des IWF und der EZB, die teilweise zu großen sozialen Verwerfungen geführt haben, auch mal nach Alternativen zu suchen, doch Russland wäre zweifelsfrei der falsche Partner einer liberalen Demokratie mit einer durch und durch europäischen Geschichte.
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Zypern und Russland
Bis dahin gab es den Versuch im europäischen Kontext die geopolitische Karte zu spielen nur einmal. Nämlich im Jahre 2013, als der zyprische Finanzminister Michael Sarris nach Moskau reiste um seinen russischen Amtskollegen zu treffen.
Es sollte darum gehen, Hilfsgelder für zyprische Banken von russischen Fonds zu verhandeln, da Sarris die Auflagen der EU weitgehend ablehnte. Er wartete vergebens, denn in Russland empfing ihn niemand. Zwar hätte Wladimir Putin mit diesem Deal einen Fuß in die EU setzen können, doch anscheinend war ihm die Gefahr zu groß, dadurch russische Oligarchen zu helfen, die er selbst jahrelang bekämpft hatte und weiter schwächen wollte.
Doch Zypern hätte Russland mehrere verlockende Angebote machen können, die den sicherheitspolitischen Konsens der europäischen Union in ihren Grundfesten erschüttern würde. So zum Beispiel einen russischen Flottenstützpunkt, was angesichts der außenpolitischen Interessen Russlands insbesondere in Syrien durchaus attraktiv gewesen wäre.
„Keine Leistung ohne Gegenleistung“
In dasselbe Kerbholz würden russische Hilfsgelder für Griechenland schlagen. Denn auch – oder gerade – innerhalb außenpolitischer Verhandlungen gilt das Prinzip: „Keine Leistung ohne Gegenleistung“. Heißt das, dass Russland künftig die Außenpolitik der Europäischen Union mitbestimmen dürfte? Was würde das für die Ukraine bedeuten, gerade dort wo Putin großes Interesse an einem sanfteren Kurs des Westens hat? Und was bedeutet das für den sozialen Zusammenhalt innerhalb des so multikulturellen Europas? Wo bleibt die Solidarität – werden sich potentielle Beitrittskandidaten und krisengeschüttelte Länder fragen.
Noch viel weitreichender würden die Folgen eines kompletten Ausstieg Griechenlands aus dem Euro-Währungsverbund sein. Denn damit wäre Griechenland noch autarker in der Suche nach neuen Geberländern und damit auch weg vom geeinten und eng kooperierenden Europa – weg vom Zusammenhalt. Dass es für Putin ein großes Bestreben ist die EU zu zersplittern und in die Richtung Eurasische Union – weg vom transatlantischen Bündnis – zu bewegen, sah man erst wieder vor einigen Wochen, als bekannt wurde, dass radikal EU-feindliche Parteien finanzielle Hilfe aus Moskau erhalten. Hier böte sich also für ein sich immer weiter isolierendes Russland die Beste Gelegenheit.
Grexit, Porxit, Spaxit und Brexit
Oberstes Ziel der EU-Politik in Bezug auf Griechenland muss es also sein, sich als das herauszustellen was man sein sollte: eine solidarische Gemeinschaft, die eng zusammenarbeitet – und das auch in Zukunft tun will. Dafür müssen sich die Institutionen in ihren Verhandlungen bewegen und Griechenland aufhören die geopolitische Karte in Betracht zu ziehen.
Denn nähme man an, ein solcher Grexit hätte stattgefunden, obgleich welcher wirtschaftlicher Folgen. Was bedeutet das für die anderen krisengeschüttelten oder EU-skeptischen Länder wie Portugal, Spanien, oder Großbritannien? Folgt man der Argumentation derjenigen, die die sogenannte Musterfalltheorie propagieren, wäre das Ausscheiden Griechenlands ein Präzedenzfall für sämtliche europäische Staaten.
„Koste es, was es wolle“
Was wäre wenn in Zukunft eine große spanische Bank Pleite geht? Funktionieren die Krisen-Mechanismen? Was ist wenn nicht? Das Primat der „ever closing union“ wäre von Grund auf in Frage gestellt – und das in einem Jahr, indem die Briten über den Verbleib in der EU abstimmen wollen. Jene Briten, die die Europäische Integration gerne wieder umdrehen und mit ihrem Austritt ebenfalls ein geopolitisches Drama auslösen würden.
Mit der Aufgabe der Haltung „die Euro-Zone ist die Euro-Zone ist die Euro-Zone“ geht auch das Prinzip „die EU ist die EU ist die EU“ verloren.
Mit dem Euro-Austritt Griechenlands wäre also ein Musterfall geschaffen, wie das europäische Projekt schrittweise ausgehöhlt, zurückgedreht und schlussendlich zerstört werden könnte. Damit verbunden sind Außenpolitik, Entwicklungshilfe, wirtschaftlicher Aufschwung, die Gestaltung der Welt nach liberal-demokratischen Vorstellungen und nichts Geringeres als die europäische Sicherheits- und Friedensordnung. Vielleicht nicht nur deswegen, aber vor allem deswegen muss der Grexit mit allen Mitteln verhindert werden. Oder in den Worten Mario Draghis: „Koste es, was es wolle.“
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